Bringen Pillen mehr Leistung?
Der Druck auf den einzelnen Arbeitnehmer ist in den letzten Jahren ständig gestiegen – immer mehr Bundesbürger wollen dem Stress mithilfe chemischer Mittel standhalten. (Foto: djd/Ergo Direkt Versicherungen/Corbis)
Der Druck auf Arbeitnehmer steigt in den letzten Jahren kontinuierlich an. Nicht, dass der erfolgreiche Mitarbeiter von heute in der heutigen Leistungsgesellschaft besonders leistungs- und durchsetzungsfähig sein muss, er muss inzwischen auch noch rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Smartphone, Pad und Laptop machen das heutzutage möglich.
Außerdem muss er auf Abruf präzise denken und arbeiten können und schnell in seinen Entscheidungen sein. Wer dabei die ein oder andere Schwäche an den Tag legt, ist so gut wie draußen – und das sowohl in der Ausbildung als auch in der Arbeitswelt. Denn auch Studenten müssen heutzutage wesentlich mehr leisten als frühere Akademiker – in kürzerer Zeit.
Wenn gesunde Menschen Pillen für Kranke nehmen
Dieser gewaltige Leistungsdruck hat deshalb fatale Folgen: Immer mehr gesunde Menschen versuchen, ihre Leistungsfähigkeit mit Pillen zu steigern, die eigentlich für Kranke gedacht sind. So wollen sie beispielsweise ihre Laune durch die Einnahme von Antidepressiva steigern oder ihre Konzentrationsfähigkeit durch Amphetamin-Derivate erhöhen. Auch sehr beliebt sind Betablocker gegen oft hohen Blutdruck sowie Wachmacher, die einen auch nach einem 12-Stunden-Tag noch fit halten sollen. Die gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen, die mit diesen Medikamenten einhergehen, werden dabei meist übersehen oder wissentlich ignoriert – ein Teufelskreis also.
Da erscheint es fast erfreulich, dass zumindest die breite Mehrheit der Bundesbürger nichts mit Mitteln zur Steigerung der Leistungsfähigkeit zu tun haben will. Zu diesem Ergebnis kam jüngst eine TNS-Emnid-Umfrage, die im Auftrag der (https://ergodirekt.de/de.html ) Ergo Direkt Versicherungen durchgeführt wurde. 84 Prozent der Befragten lehnten dabei die Einnahme von Pillen zur Steigerung der Intelligenz ab. Nur drei Prozent gaben an, dass sie bereits einmal auf derartige Mittel zurückgegriffen haben. Anlass zur Sorge könnten die restlichen 13 Prozent bieten, die sich die Einnahme von Medikamenten zur Leistungssteigerung durchaus vorstellen könnten.
Verglichen mit einer Studie von 2009 ist der Anteil an “Hirndopern” übrigens etwas angestiegen. Für den “Gesundheitsreport” der Krankenkasse DAK wurden damals rund 3.000 Berufstätige zum Thema “Doping am Arbeitsplatz” befragt. Dabei gaben rund zwei Prozent der Befragten an, regelmäßig, systematisch und ganz gezielt zu dopen – und zwar durch die Einnahme von Arzneien, die aus medizinischer Sicht nicht notwendig waren. Dazu gehören Mittel gegen Depressionen, ADHS, Schlafstörungen und Demenz sowie weitere rezeptfreie Arzneimittel. Der damaligen Umfrage zufolge wollten Männer mit der Einnahme von Arzneien in erster Linie ihr Leistungspotenzial verbessern, wohingegen Frauen vor allem ihre Stimmung aufhellen wollten.
Tatsächlicher Verbreitungsgrad von Braindoping ungewiss
Einigen Studien zufolge greift in den USA nahezu ein Viertel der Studenten zur eigenen Leistungssteigerung auf medizinische Hilfsmittel zurück. Über die genaue Verbreitung unter deutschen Studenten gibt es jedoch noch keine gesicherten Daten. Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums aus dem vergangenen Jahr lässt jedoch vermuten, dass Hirndoping hierzulande unter den angehenden Akademikern noch kein Massenphänomen ist. 90 Prozent der 8.000 befragten Studenten gaben an, komplett auf den Einsatz von Arzneimitteln zu verzichten. “Sanfte” Substanzen wie Vitaminpräparate, Koffein oder homöopathische Mittel wurden von etwa fünf Prozent eingenommen. Die restlichen fünf Prozent der befragten Studenten gaben an, vor Prüfungen und in Stresssituationen verschreibungspflichtige Beruhigungs-, Aufputsch- oder Schmerzmittel einzunehmen.
Suchtgefahr sollte nicht unterschätzt werden
Auch Studenten müssen heute in kürzerer Zeit mehr leisten als frühere Akademiker-Generationen. (Foto: djd/Ergo Direkt Versicherungen)
Doch welche Nebenwirkungen kann Braindoping haben – und wie bedenklich ist die chemische Optimierung des Gehirns tatsächlich? Der Offenburger Diplom-Psychologe Detlef Staadt warnt zumindest eindringlich vor der Suchtgefahr, die aus der (Eigen-)Medikation mit Psychopharmaka entstehen kann. Denn die subjektiv empfundene Steigerung des eigenen Leistungspotenzials und das verbesserte Wohlbefinden können schnell dazu führen, dass der Wunsch nach noch mehr Pillen psychologisch bedingt weiter zunimmt. Vorhandene Defizite würden durch das “gedopte” Gehirn nämlich scheinbar ausgeglichen – gleichzeitig werde jedoch auch immer mehr vom Gehirn verlangt. Dafür wiederum werde noch mehr chemische Unterstützung benötigt, wodurch man schnell in eine gefährliche Spirale gelangen könne.
Langfristige Nebenwirkungen nicht absehbar
Welche Auswirkungen die chemischen Eingriffe auf die natürliche Wechselwirkung von Botenstoffen und Rezeptoren im Körper haben, ist zudem selbst für Experten wie Detlef Staadt nicht prognostizierbar. “Es ist nicht absehbar, inwieweit dies zu Persönlichkeitsveränderungen führen kann. Die kognitive Leistungsfähigkeit und eine realistische Urteilsfähigkeit werden langfristig eher reduziert”, warnt Staadt daher. “Bei einer weiteren Verbreitung von psychotropen Substanzen besteht zwangsläufig die Gefahr, dass sich auch soziale Normen verändern. Gesellschaftliche Erwartungen an individuelle Leistungsfähigkeit führen dann dazu, dass ein sozialer Druck zur Einnahme dieser Psychopräparate entsteht.” Es handele sich also um ein äußerst riskantes Selbstexperiment, wenn gesunde Menschen auf chemisches Hirndoping setzen. Die Langzeitfolgen seien bislang zwar noch nicht abzusehen – es könne jedoch durchaus davon ausgegangen werden, dass sie eher negativ ausfallen würden und daher zum klassischen Eigentor würden, so Staadt.
84 Prozent der Bundesbürger lehnen es einer aktuellen Umfrage zufolge ab, die Leistung ihres Gehirns mit Medikamenten zu steigern. (Foto: djd/Ergo Direkt Versicherungen)
Quelle: mpt
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